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Chinas Regierung lässt in großem Stil Videospiele zensieren. Wer ein neues Game auf den Markt bringen will, muss sich an die Spielregeln halten. Das bedeutet für Entwickler: Keine Inhalte, die als Kritik an der Regierung verstanden werden könnten, keine Verweise auf soziale oder politische Missstände in dem Land. Auch den Entwicklern der Games-Schmiede ZuoBuLaiGames dürfte das bewusst gewesen sein. Dennoch haben sie mit “The Wall” ein Spiel veröffentlicht, das offensichtlich gegen diese Richtlinien verstößt – und die Verantwortlichen im schlimmsten Fall für Jahre hinter Gitter bringen könnte.

“Stell dir vor, du wärst hinter einer Mauer geboren worden. Fügst du dich deinem Schicksal und akzeptierst die Gefangenschaft? Oder suchst du nach einem Weg auszubrechen?” Mit diesen markigen Worten präsentiert eine anonyme Gruppe chinesischer Spielentwickler, die unter dem Decknamen ZuoBuLaiGames operiert, ein neues Online-Spiel, das vor allem unter Auslandschinesen seit Wochen für große Aufregung sorgt.

Eine beispiellose Provokation

“The Wall” ist eine direkte Anspielung auf Chinas “Große Firewall”, einem breiten Bündel an Maßnahmen zur Überwachung und Zensur des Internets in China, das die kommunistische Regierung seit 2003 schrittweise eingeführt hat. Sie sorgt u.a. dafür, dass westliche Webseiten und Dienste wie Facebook, Google, Youtube und Co. in dem Land gesperrt sind. Denn die Regierung fürchtet kaum etwas so sehr, wie freie Medien und ungefilterte Informationsströme, stellen diese doch eine der größten Bedrohungen für den Machterhalt der Kommunistischen Partei, der Machtelite Chinas, dar. Dass mit “The Wall” nun ein Spiel auf den Markt kommt, das den User explizit dazu aufruft, eben jene Firewall zu zerstören und chinesischen Internetnutzern den Zugang zu den verbotenen Webseiten zu ermöglichen, dürfte in den Augen der Regierung als beispiellose Provokation erscheinen.

Facebookk, Googlee, Wkipedia und CornHub

Ein kurzes Promo-Video, das die Hersteller auf Steam veröffentlicht haben – einer Games-Plattform, auf der Nachwuchsentwickler ihre Werke erstmals einem breiteren Publikum vorstellen können -, offenbart ein vergleichsweise simples Spielkonzept: Als harmloser Zivilist getarnt bewegt sich der Spieler durch ein labyrinthartiges Gebäude. Auf seinem Weg trifft er auf zahlreiche Wachleute, die die umliegenden Wände bewachen. Hinter diesen Mauern verbergen sich verbotene Webseiten, die Facebookk, Googlee, Wkipedia oder CornHub heißen und offensichtlich das freie westliche Internet repräsentieren. Die Mission des Spielers besteht darin, den Wachleuten möglichst unentdeckt ihre Schlüssel zu entwenden, die Wände niederzureißen und anschließend die dahinter liegenden verbotenen Webseiten zu entsperren. Das Spiel ist gewonnen, sobald alle Webseiten “befreit” wurden.

“Hätten die Mauer längst niederreißen sollen”

Knapp zwei Monate nach der Erstveröffentlichung Anfang Juni wurde das Game bereits tausendfach heruntergeladen. Trotz des rudimentär anmutenden Spielkonzepts bewerteten knapp 88% der Probanden “The Wall” positiv – ein Rating, mit dem das Spiel zu den beliebtest auf Steam gehört. In zahlreichen Kommentaren drücken die Zocker ihre Sympathien und breite Zustimmung für das Game aus. So schreibt beispielsweise ein User, der sich IGotChu nennt: “Das Spiel sieht sehr vielversprechend aus. Ich werde euch unterstützen.” Ein anderer User schließt sich ihm an: “Ich hoffe, dass euch die Polizei nicht auf die Schliche kommt und ihr das Spiel noch weiter entwickeln könnt.” “Ich bewundere euren Mut. Wir hätten diese Mauer längst niederreißen sollen”, fordert hingegen der User Atheist1.

Denkbar ungünstige Zeit für Steam

Doch es gibt auch kritische Stimmen. Einige User fühlen sich durch “The Wall” dazu veranlasst, das chinesische Internet mit allen seinen Einschränkungen in Schutz zu nehmen. So schreibt beispielsweise der User UBIboy: “Ohne die Sperrung ausländischer Dienste in unserem Land hätte unsere heimische Internetindustrie niemals so prosperieren und wachsen können. Keines unserer IT-Unternehmen hätte jemals mit Google mithalten können.” Darüber hinaus lassen sich diverse Kommentatoren ausmachen, die eine schwere Bestrafung seitens der Regierung voraussagen – nicht nur für die Entwickler, sondern auch für die Betreiber von Steam. Für letztere kommt das Spiel freilich zu einer denkbar ungünstigen Zeit: So hat die chinesische Regierung erst kürzlich angekündigt, die ohnehin schon strengen Regeln für Spieleproduzenten und Betreiber von Onlineportalen noch einmal um einiges zu verschärfen. Fortan sollen sich sämtliche Online-Dienstleister einer staatlichen Prüfung unterziehen müssen, bevor sie Lizenzen für ihr Geschäft erhalten. Nur wer “sauber” ist und von der Regierung als unbedenklich eingestuft wird, darf in Zukunft weiter mediale Inhalte produzieren oder bereitstellen. Damit zielen die Maßnahmen der Regierung erstmals nicht mehr nur auf die verbreiteten Inhalte, sondern auch auf die persönlichen Hintergründe und Aktivitäten der Provider.

Rechtliche Grauzone

Für die Betreiber von Steam, einer Plattform mit immerhin mehr als 15 Millionen Usern in China, käme ein Verbot einer Katastrophe gleich. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie lange sie kontroverse Inhalte wie “The Wall” auf ihrer Seite noch zulassen werden. “Steam operiert in China schon immer in einer rechtlichen Grauzone”, sagt Daniel Ahmad, Analyst bei Niko Partners, einer Agentur für Marktforschung. “Es ist seit Jahren gesetzlich vorgeschrieben, dass alle neuen Videospiele vor ihrer Veröffentlichung eine strenge Prüfung durchlaufen müssen. Ob es anschließend zur Veröffentlichung kommt, entscheidet allein die Regierung. Die auf Steam veröffentlichten Spiele sind bislang jede staatliche Prüfung umgangen.”

In absehbarer Zeit den Stecker ziehen

Es ist nicht davon auszugehen, dass die chinesische Regierung für Steam eine Ausnahme machen wird. Ganz im Gegenteil: Sollte die Plattform weiterhin regierungskritische Spiele wie “The Wall” anbieten und verbreiten, dürfte ihr das Zensurministerium in absehbarer Zeit den Stecker ziehen. Das chinesische Game- Portal CovLevel.net hat bereits reagiert und den “Wall”-Trailer von seiner Seite entfernt. Inwiefern das Spiel darüber hinaus Konsequenzen für Entwickler und Portalbetreiber hatte, ist bislang nicht bekannt. Schriftliche Interviewanfragen an ZuoBuLaiGame und Steam blieben bis zum heutigen Tag unbeantwortet.

Titelbild: Education is All, by Alan Levine on Flickr, CC BY 2.0

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