In zwei Wochen stimmt das EU-Parlament über die intensiv diskutierte Reform des Urheberrechts ab. Besonders umstritten sind dabei die Artikel 11 (Leistungsschutzrecht) und der Artikel 13, der Seitenbetreiber verpflichtet sicherzustellen, dass rechtlich geschützte Inhalte nicht auf ihren Seiten hochgeladen werden können. Dies läuft auf die Einführung von Uploadfiltern hinaus. Einige Netzpolitikerinnen und -politiker sowie YouTuber sehen deswegen einen Angriff auf das freie Internet. Tausende Menschen demonstrieren u.a. in Berlin. Unser Autor teilt einige Bedenken, sieht in der Reform jedoch auch neue Chancen für den öffentlichen Diskurs.

Selten hat ein Gesetzesvorschlag eine so heftige Reaktion ausgelöst wie der zur Reform des Urheberrechts. Dieser “Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt” wird etwa von Oliver Süme vom eco-Verband der Internetwirtschaft unterstellt, “das Internet kaputt zu filtern”. Da sie quasi zwingend die Einführung von Uploadfiltern für geschützte Inhalte nach sich zieht, gilt sie vielen als Instrument staalicher Zensur. Doch der Alarmismus ist übertrieben. Im Gegenteil: die Reform könnte das Ökosystem Internet dezentralisieren und damit aus dem Griff der “Big Five” befreien.

Was steht drin? Filtern bei den großen Plattformen

Ohne die Warnungen vor einer hypothetischen Ausweitung der Filter (siehe hierzu eine hervorragende Abhandlung auf Literaturcafe.de) völlig ausschließen zu wollen: der Gesetzentwurf betrifft nur “Online Content Sharing Service Provider” – also Plattformen wie Youtube, Facebook oder Twitter. Sie müssen künftig garantieren, dass kein urheberrechtlich geschütztes Material auf ihre Server geladen und bereit gestellt wird. Alternativ müssen sie einen Vertrag über die Lizenzierung dieser Inhalte nachweisen. Neu ist hierbei, dass sie gezwungen sind, präventiv tätig zu werden. Das ist de facto nur über automatische Sichtung und gegebenenfalls Blockierung von Uploads möglich: den gefürchteten Uploadfilter.

Diese Filter existieren bereits (etwa in Form von Youtubes “Content ID”), und sie sind bereits im Einsatz. Den genauen Umfang oder ihre Funktionsweise kennen wir nicht. Die Big Five sind Privatunternehmen, die uns – ihrem Publikum – keine Rechenschaft schuldig sind. Erfahrungen der Vergangenheit zeigen aber, dass Inhalte meist ohne Angabe von Gründen blockiert werden und von einem normalen User nicht sinnvoll moniert werden können.

Wen treffen die Uploadfilter, und wen nicht?

Wenngleich nicht namentlich benannt, richtet sich die EU-Richtlinie an Facebook, Youtube, Twitter, Instagram et al. Dienste, die ihren Benutzern die Möglichkeit geben, Inhalte hochzuladen und bereit zu stellen:

“[Ein] Anbieter von Informations-Gemeinschaftsdiensten, deren hauptsächlicher oder einer der hauptsächlichen Zwecke es ist, große Mengen an Werke oder andere Inhalte zu speichern und öffentlich zur Verfügung zu stellen, die von seinen Usern hochgeladen werden, und die er zum Zwecke der Gewinnerzielung organisiert und anbietet.”

(“provider of an information society service whose main or one of the main purposes is to store and give the public access to a large amount of works or other subject-matter uploaded by its users which it organises and promotes for profit-making purposes”), siehe Artikel 2 Absatz 5

Nicht betroffen von der Pflicht zur Filterung sind alle Plattformen, Personen oder Dienste, die nicht unter die entsprechende Definition fallen: Blogs, Websites, Messenger oder E-Mail.

Links bleiben unbetroffen

Ebenfalls nicht betroffen sind Links zu Inhalten, auf die sie verweisen. Ein Video zu einem Blog sollte auf Facebook ohne weiteres verlinkbar sein, ebenso die Schlagzeile einer News-Meldung, ein Meme, Fake News oder politische Brandschriften. Zu klären wäre, in welchem Rahmen Vorschaubilder zulässig sind oder wieviel von einem verlinkten, geschützten Text, zitiert werden darf. Die aktuelle Empfehlung von 70 Zeichen Headline und einem kurzen Anreißer von 155 Zeichen dürfte als Richtlinie gelten.

Warum die Urheberrechtsreform?

Mit der aktuellen Reform will die EU das Geschäftsmodell der Big Five abschaffen: groß geworden waren sie als leidenschaftslose Anbieter von User-generierten Inhalten. Dass dabei urheberrechtlich geschützte Werke eine große Rolle gespielt haben, störte nicht. Die Rechtmäßigkeit, die Korrektheit, die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Inhalte sind nicht relevant.

Was geklickt wird, wird per Algorithmus weiter verbreitet. Dass die Plattformen in der Zwischenzeit quasi Verlagshaus (Amazon eBooks) und TV-Anbieter (Youtube) geworden sind, hat diesem Ansatz keinen Abbruch getan. Noch Anfang 2018 bestand Mark Zuckerberg darauf, dass Facebook nichts mit einem Medien- oder Presseunternehmen gemein hätte. Nur widerwillig haben die Big Five in den letzten Jahren begonnen, Verantwortung für ihre Rolle zu übernehmen. Sie beginnen, die Botschaften von Impfgegnern totzuschweigen, russische Troll-Armeen zu blockieren, oder die schlimmsten Rassisten zu verbannen.

Das Urheberrecht vs. das Geschäft mit Social Media

Der Grund für das Zögern der Big Five liegt darin, dass diese Einschränkung der User dem Grundgedanken eines Social Media Netzwerkes widerspricht. Alles, was den Anwender in seiner Freiheit beschneidet, zu posten was er will, beschädigt die Plattform. Sie lebt von dieser Interaktion. Gesetze können dabei nur stören, und das ist der Grund, warum es so schwer ist, falsche, verleumderische oder eben das Urheberrecht verletzende Inhalte von der Plattform zu entfernen. Es ist kein Versäumnis seitens der Plattformbetreiber, es ist ein Kollateralschaden der Geschäftsphilosophie.

Der Untergang für Kreative?

Gleichzeitig haben die Plattformen eine Marktmacht entwickelt, die sie quasi zu Monopolisten macht. Keine Marketingstrategie kann heutzutage noch ohne Facebook funktionieren. Zeitungen, Verlage, Musiker, Künstler – sie alle generieren einen großen Teil ihres Geschäfts über die sozialen Medien. Ihnen droht jetzt Ungemach: wenn sie ihre eigenen Werke dort promoten wollen, könnten sie durch einen Uploadfilter ausgebremst werden. Den Nachweis, dass sie als Rechtinhaber berechtigt sind, ihre eigenen Werke dort zu zitieren oder in Gänze zur Verfügung zu stellen, müssten sie selber bringen. Das ist zeitaufwändig, und übersteigt die Mittel der meisten kleinen Verlage, Unternehmen oder Künstler.

Der Untergang der öffentlichen Debatte?

Ähnlich, so die Befürchtung, dürfte es in anderen Fällen sein, wo urheberrechtlich geschützte Werke im Rahmen der Kunstfreiheit, des wissenschaftlichen Diskurs oder anderer Ausnahmen zum Urheberrecht geteilt werden. Auch hier könnte der Filter streng unterbinden, was ein wertvoller und legitimer Beitrag zur öffentlichen Debatte wäre. Auch hier läge die Nachweispflicht beim User, und auch hier steht zu befürchten, dass der große Aufwand sich nicht lohnt. Die Folge: ein Veröden der öffentlichen Debatte. Doch es droht noch Schlimmeres.

Zensur?

Viele Beiträge zum Thema des neuen Urheberrechts warnen vor staatlicher Zensur mit dem Uploadfilter. Einmal eingerichtet, könnte er zur Unterdrückung unliebsamer politischer Botschaften verwendet werden. Die Beschränkung der Filter auf die sozialen Netzwerke könnte nur der erste Schritt sein, später jede Art der Kommunikation zu filtern. Diese Ängste sind ernst zu nehmen. Es sind in den letzten Jahren mehrere autoritäre Potentaten aus demokratischen Systemen erwachsen. Sie könnten einen Uploadfilter wie oben beschrieben ausweiten und missbrauchen.

Doch das Argument, so bedrohlich auch seine Implikation, ist schwach. Eine diktatorische Regierung könnte schon jetzt Uploadfilter einführen. Die Technologie existiert bereits. Doch sämtliche Kommunikation zu politischem Zweck zu überwachen und zu filtern, stellt verfassungstechnisch eine ganz andere Problematik dar als die selektive Kontrolle bestimmter Inhalte auf bestimmten privaten Plattformen.

Im Fall der Uploadfilter, wie sie jetzt geplant sind, geschieht eine Abwägung der Rechte: das Recht am geistigen Eigentum gegenüber dem Recht der freien Meinungsäußerung in einem eindeutig beschränkten Rahmen. Würden die Filter zur Zensur auf allen Kanälen und zu einem anderen Zweck eingesetzt, entfällt die Rechteabwägung. Es gibt kein Recht der Regierung, sich gegen andere Meinungen zu schützen. Das Horroszenario vieler Kritiker wäre vermutlich nicht grundgesetzkonform. Die wichtigste Hürde, die uns schützt, ist also nicht die technische Machbarkeit, sondern der politische Wille. Wenn dieser fehlt, wenn wir also einen entsprechenden Griff nach den Grundrechten nicht unterbinden, dann rettet uns auch nicht, dass die Uploadfilter bisher nur ein Hobby der Big Five und rechtlich nicht bindend waren.

Keine Angst vor der Veränderung

Die Uploadfilter in ihrer aktuellen Form sind also kein kleiner Big Brother. Sie bedeuten auch nicht das Ende der kleinen Verlage, Künstler oder Redaktionen. Wer Angst hat vor der Machtlosigkeit der Kreativen gegenüber dem Uploadfilter, der verkennt, dass die sozialen Netzwerke davon leben, ihren Anwendern das Posten leicht zu machen. Facebook et al. dürften alles daran setzen, den Einspruch gegen automatische Filter-Blockaden in Zukunft zu erleichtern – eben weil diese Inhalte das Herzblut darstellen, das durch die Adern der sozialen Netzwerke fließt.

Zudem unterbindet der Filter nicht die Kommunikation mit geschützten Inhalten wie Memes, die auf Basis von Fotos aus Filmen oder Nachrichten entstehen. Er verhindert nur, dass die geschützten Inhalte auf Facebook-Servern liegen. Wer ein Werk teilen will und sich sicher ist, damit nicht gegen das Urheberrecht zu verstoßen, kann es weiterhin publizieren – in seinem Blog oder auf seiner Website. Dank der Impressumspflicht kann ein Rechteinhaber ihn im Zweifelsfall identifizieren, die Löschung verlangen oder Lizenzgebühren eintreiben. Wegen Bagatellfällen dürfte mithin keiner der Rechteinhaber den Weg vor ein Gericht gehen – kleine, private Anwender dürften quasi “unter dem Radar fliegen” – auch weil das Gesetz zur Abmahnung bei Urheberrechtsverstößen seit seiner Novellierung 2013 das Geschäftsmodell des Abmahnanwalts unrentabel hat werden lassen.

Hierin liegt zudem die größte Chance für Urheber, aber auch für die Gesellschaft. Das neue Gesetz wird die Marktmacht der sozialen Plattformen erheblich beschneiden. Es wird dazu führen, dass andere, dezentrale Wege der Verbreitung stärker verwendet werden. Aus einem Internet-Volk der Facebook-User könnte eine demokratische Gesellschaft der Selbst-Veröffentlicher werden. Ein eigener Blog mit Wordpress ist in einer halben Stunde aufgebaut. Technologien wie Newsletter und RSS, die im Zeitalter von Facebook in Vergessenheit zu geraten drohen, würde neues Leben eingehaucht. Auch die Rolle der Messenger wird dabei gestärkt. Schon heute ist Whatsapp in vielen Ländern im Vergleich zu Facebook der wichtigere Kanal. Die dezentrale Natur der persönlichen Netzwerke, die hier aufgebaut werden, macht die Kommunikation zudem noch schwerer zu kontrollieren. Aus Sicht der freien Rede und des gesellschaftlichen Diskurs ein weiterer Vorteil. (Siehe hierzu auch Simon Hurtz Essay in der Süddeutschen“Das freie Netz stirbt vor unseren Augen”).

Weg mit dem vermittelten Kontakt zum Publikum

Auch aus Marketingsicht stärkt das die Position der Kreativen. Ein Facebook-Like auf der Page eines Künstlers, Musikers oder Unternehmens ist heute nicht mehr viel wert. Die organische Reichweite der Posts auf der Plattform geht gegen Null. Man kommt nicht darum herum, die Plattform zu nutzen, um gefunden zu werden. Aber jede Ansprache des eigenen Publikums muss über Sponsored Posts geschehen und kostet teures Werbegeld. Der direkte Kontakt zum Kunden ist dem vermittelten Kontakt gewichen.

Viel wertvoller ist dagegen ein RSS- oder Newsletter-Abonnent. Hier ist der Dialog von Anbieter zu Publikum direkt. Ein Autor, der ein neues Buch promoten will, eine Band, die ein neues Video hat – sie erreichen alle ihre Fans mit einer E-Mail oder einen neuen Post – und nicht nur die 2 Prozent, denen Facebooks Algorithmus die Nachricht anzeigt.
Fazit: Die Reform des Urheberrechts bekämpft die Zentralisierung der Kommunikation. Gut so!

Mit ihrem Entwurf eines neuen Urheberrechts will die EU die Position von Kreativen und Verlegern stärken. Im Zeitalter der digitalen Transformation konnten Ihre Rechte bisher nicht geschützt werden. Die großen sozialen Netzwerke sind als Parasiten dieser Entwicklung groß geworden. Heute tragen sie einen überwiegenden Anteil der öffentlichen Debatte – aber sie gestalten ihn nach ihrem Gutdünken und ohne Rechenschaft dafür ablegen zu müssen.

Durch ihre Maßnahmen zum Schutz der Urheber erreicht die EU also viel mehr: sie entzieht Youtube, Facebook et al. eines ihrer wichtigsten (illegitimen) Standbeine und zwingt sie, Verantwortung für die Inhalte zu übernehmen, durch die sie Geld verdienen. Das ist in jeder Hinsicht zu begrüßen. Nicht nur im Bereich des Urheberrechtsschutzes, sondern in allen anderen Bereichen auch.

Dass die technische Infrastruktur dazu auch für unlautere, ja diktatorische Mittel missbraucht werden könnte, ist korrekt. Aber die Technologie existiert ohnehin schon, sie ist bereits im Einsatz. Es ist allein unser politischer Wille, der verhindert, dass sie zu den falschen Zwecken eingesetzt wird. Ihre Verwendung zum Schutz der Rechte von Kreativen und Produzenten ändert daran nichts. Im Gegenteil: wenn sie dazu beiträgt, die monolithische Position der Big Five im öffentlichen Diskurs zu begrenzen, stärkt sie quasi als Nebenwirkung den freien öffentlichen Diskurs.

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